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  • Writer's picturekellytrausch

Fabio auf der Suche nach der Dehnung

Auch wenn sie derzeit häufig diskutiert wird, vor allem in der klassisch-barocken und portugiesischen Reiterei, so ist sie für mich unabdingbar: Die Dehnungshaltung. Eine korrekt ausgeführte Dehnungshaltung stabilisiert den Rücken und die Oberlinie und ist somit gesundheitsfördernd. Das Pferd soll lernen der Hand zu folgen, sich weder aufs Gebiss zu legen, noch sich der Einwirkung durch Einrollen zu entziehen. Nur indem das Pferd der Hand folgt, kann es sich selbst tragen. Schädlich ist die Dehnungshaltung nur, wenn sie falsch praktiziert wird oder bei zu hoher Zeitintensität.



Die Basisausbildung als Kernelement

Also Fabio zu mir in Ausbildung kam, war er gerade mal unter dem Sattel. Was soviel heisst wie: Er war brav und akzeptierte den Reiter. Was der da obendrauf aber von ihm wollte, war dem Grossen ein Rätsel. Das Gute war, dass die Bremse funktionierte: Auf Stimmkommando parierte er durch zum Halten. Bei Schenkeldruck hob er seinen ohnehin schon hochangesetzten, langen Hals noch höher, verkrampfte und legte die Bremse ein. Der Grund hierfür war, dass er die Schenkelhilfe noch nicht richtig gelernt hatte. Das war also unsere erste und für mich wichtigste Baustelle für die weitere Ausbildung.


Auf jede Aktion folgt eine Reaktion

Auch wenn Friesen von der Masse her schwerer sind als z.B. Spanier, heisst das nicht, dass sie weniger sensibel sind, die Leitung ist nur vielleicht etwas länger und sie stecken mehr weg. Auch Friesen können durchus von sich aus fleissig nach vorne gehen, ohne ständiges Schenkeldrücken und fein an den Hilfen stehen. Genau das macht nachher eine reelle Ausbildung aus und vermittelt Reiter und Pferd Freude an der Arbeit.


Wie erreiche ich das nun als Reiter?

Meine Ausbildungsmethode folgt einem ganz einfachen Prinzip: Das Pferd soll jeglichem Druck weichen, egal ob das nun eine Zügel- oder Schenkelhilfe ist. Auf jede Aktion seitens des Reiters, folgt eine Reaktion des Pferdes. Ich fange mit der Schenkelhilfe an, da jegliche Zügeleinwirkung zunächst als Bremse wirkt.

Ich mache dem Pferd die Schenkelhilfe verständlich, indem ich einen Impuls mit dem Schenkel gebe. Geht das Pferd vorwärts, hört der Impuls auf und es wird gelobt. Reagiert das Pferd nicht auf den Impuls, erhöhe ich den Druck und touchiere es zusätzlich mit der Gerte. Der Druck setzt unmittelbar aus, sobald das Pferd vorwärts zieht. Jedes von sich aus fleissige Nach-Vorne-Gehen, wird gelobt. Ziel ist es, die Schenkelhilfen immer mehr zu verfeinern bis das Pferd ohne Druck, von sich aus fleissig vorwärts geht. Erst wenn das gegeben ist, kann man einen Schritt weitergehen.

Ganz wichtig ist, dass Zügel-und Schenkelhilfen nicht zusammenwirken, denn das würde das Pferd in diesem Stadium verwirren.


Die Dehnungshaltung ist kein "Herunterziehen"

Dehnungshaltung und vorwärts-abwärts sind eigentlich das Gleiche, allerdings bevorzuge ich den Begriff "Dehnungshaltung", da er genau das widerspiegelt was das Pferd machen soll: Vor und nach der Arbeit, sowie unmittelbar nach einer anstrengenden Arbeitsphase, soll dem Pferd de Möglichkeit gewährt werden, sich zu dehnen, sich zu entspannen, genauso wie die zweibeinigen Sportler es tun. Bei jungen Pferden, sowie in Fabio's Fall, rege ich dadurch die Rückentätigkeit an und helfe ihm somit, das Reitergewicht besser tragen zu können. Das Pferd soll im Rücken loslassen, die Oberlinie leicht aufwölben, sich im ganzen Körper entspannen und vertrauensvoll an die Hand herantreten.





Fabio hatte das Problem, dass er sich entweder extrem aufgerollt hat, oder ich so sehr herausgehoben hat, dass er einer Giraffe ähnelte. Beiden Problemen konnte ich nun entgegenwirken da er die Schenkelhilfe verstanden hatte und er von sich aus fleissig mit der Hinterhand unter den Schwerpunkt trat.


Drückt das Pferd hoch gegen die Hand, lasse ich diese stehen und treibe es von hinten leicht ans Gebiss heran. Dieser konstante, nicht herumziehende oder riegelnde Druck bleibt bestehen und in dem Moment wo das Pferd nachgibt, geht die Hand vor und wird somit gelobt.

Dies wird immer wieder wiederholt wenn das Pferd gegen die Hand geht, so lernt es dem Druck zu weichen und sucht die Wohlfühlzone. Nach und nach wird das Pferd die Halsung vom Wiederrist aus fallen lassen, das Genick öffnen und vertrauensvoll ans Gebiss herantreten. Der Reiter spürt hierbei einen leicht federnden Zug nach vorne. Vom Reiter erfordert das sehr viel Geduld, Gefühl und Geschick. Das Pferd darf keinesfalls bestraft werden, sondern es folgt Lob bei der verlangten Reaktion. Es wird zum Mitdenken ermutigt, versteht was gefragt wird und behält die Freude an der Arbeit.

Ein wichtiger Aspekt ist zudem, dass die Reiterhand niemals rückwärts wirken darf, da diese Hand beim Nachgeben seitens des Pferdes durch den aufgebauten Zug abermals rückwärts wirkt, und das Pferd durch einen Ruck ins Maul bestraft wird. So kann es niemals Vertrauen zur Reiterhand entwickeln.


Das extreme Einrollen konnte nun ebenfalls durch das aktiv nach vorne tretende Hinterbein relativ schnell behoben werden. Demi-Arrêts (Aufwärtseinwirkung beider Hände, die auf die Maulwinkel und nicht auf die äusserst empfindliche Zunge wirken) haben geholfen das Genick anzuheben und zu öffnen, um eine natürliche Haltung und einen normalen Kontakt herzustellen.

Natürlich wird Fabio aufgrund seiner Morphologie ( hochangesetzter, langer und biegsamer Hals) immer ein Pferd bleiben, das relativ schnell hinter die Senkrechte kommt, aber wir arbeiten fleissig daran, dies zu vermeiden.


Zitat von Philippe Karl als Schlussfolgerung:

" Nur die Dehnungshaltung erlaubt es, die Oberlinie des Pferdes zu dehnen und zu runden, sowie das natürliche Gleichgewicht und die Vorwärtsbewegung des Pferdes so zu beeinflussen, dass sich das junge, unerfahrene Pferd möglichst wohlfühlt"



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